Am 16. Internationalen Bodenseekongress im Jahr September 2022 gewährte Ass. Prof. Dr. rer. nat. Alexander Karabatsiakis (Institut für Psychologie der Universität Innsbruck) Einblicke in die psychoneuroimmunologische Biomarker-Forschung. Dabei vertrat er die These, dass die Erforschung psychiatrischer Erkrankungen wie der Depression von der systemischen Betrachtung gesamtkörperlicher Veränderungen profitiert, statt sich primär auf das zentrale Nervensystem zu fokussieren.
Die Psychoneuroimmunologie kann hierfür sehr wertvolle Erkenntnisse liefern, auch für eine ganzheitliche Perspektive auf die gesundheitlichen Konsequenzen der Depression. An einem Tagesseminar der SfGU, das am 14. März 2024 im Hotel Marriott in Zürich stattgefunden hat, wurde das Konzept der klinischen, d.h. angewandten Psychoneuroimmunologie (kPNI) weiter vertieft. Dieser interdisziplinäre Ansatz definiert den Begriff Gesundheit neu, indem er Psychologie, Neurologie, Immunologie, Endokrinologie, Soziologie und Bewegungswissenschaften integriert.
Einfluss auf das Verhalten
Aus dieser fachlichen Perspektive ging Tom Fox, Heilpraktiker, Sportwissenschaftler und Therapeut für kPNI, darauf ein, wie Stress und das Immunsystem unser Verhalten beeinflussen. So löst nicht nur eine Immunreaktion, sondern auch eine chronische Erkrankung Krankheitsverhalten aus, das der erfolgreichen Abwehr und der Verteilung von Energie dient.
Chronischer Stress und eine chronisch-niedriggradige Entzündung können die Entscheidungsfähigkeit und den Hirnstoffwechsel beeinflussen sowie ggf. Depressionen auslösen und verstärken. Fox betonte, dass sich unter Stress und Immunaktivität die Entscheidungsfähigkeit verändert.
Die Wissenschaftlerin Dr. Karin de Punder (Institut für Psychologie der Universität Innsbruck) zeigte auf, wie sich frühe Stresserfahrungen, z.B. durch Missbrauch und Vernachlässigung, auswirken. Demnach stellen Traumata in der Kindheit einen wichtigen Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen im späteren Leben.
Anhand von Studien verdeutlichte sie dies am Beispiel von neurobiologischen und immunologischen Veränderungen. In einem weiteren Vortrag ging de Punder der Frage nach, wie chronischer / früher Lebensstress das Immunsystem schneller altern lässt. Im Fokus stehen dabei zwei biologische Systeme, die die zelluläre Alterung stark beeinflussen – Telomere und Mitochondrien. Während sich Stresshormone, oxidativer Stress sowie inflammatorische Mediatoren negativ auf die Telomerlänge und die Telomerase-Aktivität auswirken, ist die mediterrane Ernährung mit einer längeren Telomerlänge verbunden.
Erhöhter Energiebedarf
Als weiteren Ansatzpunkt für Interventionen nannte die Referentin die Mitochondrien. So gehen z.B. Depressionen mit einer Abnahme der Mitochondrienfunktion einher. Studien zeigen, dass z.B. eine Elektrokonvulsionstherapie (EKT) sich positiv auf die mitochondriale Atmung auswirken.
Der abschliessende Vortrag von Tom Fox baute darauf auf. Er erläuterte verschiedene Lebensstilinterventionen nach kPNI, wie z.B. Kälte und Bewegung, Hitze sowie weniger häufiges Essen.
Aus Sicht der SfGU kommentiert ihr Präsident Andreas Hefel die Inhalte: «Kann der erhöhte Energiebedarf aufgrund von Stress nicht durch eine ausreichende Aktivität der Mitochondrien gedeckt werden, kommt es zu Erschöpfungszuständen – zum Beispiel im Gehirn, gefolgt von Depression, was eine Folge von Trauma sein kann. Stressbelastungen betreffen uns alle und nicht nur eine Minderheit der Bevölkerung. Seit 2020 haben Stress und psychische Probleme weltweit zugenommen. Die starke Zunahme der Suizidversuche von Jugendlichen verdeutlicht, wie gross die Herausforderung und wie dramatisch die momentane Situation sich darstellt. Es besteht also dringender Handlungsbedarf!» (JÜK)